0001
STELLA MUSULIN.
0002
WIEN III.,
0003
NEULINGGASSE 26
0004
FRIDAU
0005
OBERGRAFENDORF
0006
bei ST. PÖLTEN, N. Ö.
0007
23. Mai .
0008
Sehr geehrte Frau Busta,
0009
Ich wollte Sie heute Abend nicht
0010
aufhalten. Sie hätten sich wahrscheinlich nicht
0011
an mich erinnert _ vor drei, vier Jahren
0012
habe ich Sie im Caféhaus "Drei viertel"
0013
"interviewed"; und doch möchte ich mich
0014
für die Freude, die Sie mir heute gemacht
0015
haben, bedanken.
0016
Dieser Brief hat aber einen weiteren Grund.
0017
Professor Auden begrüsste Sie _ und verschwand.
0018
Er ist ein erstaunlich bescheidener Mensch
0019
und verabscheut es, sich _ auch im kleinsten
0020
Dorf - irgendwie bemerkbar zu machen. Ich
0021
wollte Ihnen daher sagen, daß er gleich
0022
darauf und auch beim Abendessen sehr
0023
anerkennende Worte über Ihre Dichtung
0024
gesprochen hat. Wenn Sie erlauben: auch
0025
Ihr Wesen, und die Art, wie Sie vorlesen,
0026
sind ihm sehr sympathisch .
0027
Sein Freund und Mitarbeiter Chester
0028
Kallman, war auch da. Er ist ebenfalls
0029
Dichter, vor allem Librettist (Stravinsky,
0030
Henze, Brecht u.s.w.) Er versteht zu wenig
0031
Deutsch, es hat mich aber interessiert,
0032
daß er imstande war, von der Technik
0033
Ihrer Dichtung eine Menge herauszuhören
0034
die der Laie, wenn er nur für den Inhalt
0035
Ohren hat, oft überhört .
0036
Übrigens: warum wohl niemand nach den
0037
"Hinterhöfen" applaudiert hat? Eins Ihrer
0038
Schönsten Gedichten, hat es etwas
0039
(ärgern Sie sich nicht) Hofmannsthalsches
0040
an sich.
0041
Sehr geehrte Frau Busta, ich werde diesen
0042
Brief sofort beenden, es ist ohnehin schon
0043
halb eins! Halten Sie diesen Brief
0044
bitte nicht für irgend eine Art von
0045
Wichtigtuerei, ich wollte nur Audens
0046
Lob weiterreichen.
0047
Mit herzlichen Grüssen und
0048
besten Wüschen
n
0049
Ihre
Stella Musulin .
0050
beantw , 3.6.62