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Erklärung
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Meine Herren !
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Mein Standpunkt ist sehr einfach : Man bezahlt dort
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Einkommensteuer, wo man Geld verdient, das heisst in meinem
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Fall, als Schriftsteller, der englisch schreibt, in den Ver-
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einigten Staaten und in England. In Österreich verdiene ich
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keinen Groschen, ich gebe lediglich Schillinge aus.
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Sie behaupten, dass ich ein 'materielles Interesse' an
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Österreich habe, womit Sie vermutlich ein 'finanzielles' In-
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teresse meinen. Das könnte nur dann möglicherweise richtig sein,
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wenn ich mir sagen müsste :'Ich muss nach Österreich gehen,
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weil ich nur in Österreich arbeiten kann!. Das ist aber nicht
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der Fall. Ich habe an vielen Orten und in den verschiedensten
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Ländern gelebt, und war imstande, zu arbeiten, wo immer ich
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auch war.
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Ich habe natürlichein 'persönliches' Interesse an Öster-
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reich, sonst käme ich nicht hierher. Mir gefällt die Landschaft
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und ich finde die Österreicher, die ich kennen lerne, freundlich
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und charmant.
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Sie sagen wahrheitsgemäss, dass ich einmal einen öster-
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reichischen Literaturpreis erhalten habe. Das war e ine grosse
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Ehre, a uf die ich sehr stolz bin. Aber Sie können doch nicht
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ernstlich glauben, meine Herren, dass ich mir ausgerechnet habe:
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' Wenn ich weiter nach Österreich gehe, wird mir vielleicht ein
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Preis verliehen werden'? Bevor er mir zuerkannt wurde, hatte
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ich noch nie von diesem Preis gehört. Es ist auch klar, dass ich
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ihn kein zweites Mal erhalten kann. Dann sagen Sie auch, dass
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man in Kirchstetten eine Strasse nach m ir Audenstrasse genannt
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hat. Das war eine sehr liebenswürdige Geste von Seiten der
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Gemeinde, aber man kann nicht behaupten, dass ich finanziellen
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Nutzen daraus ziehe.
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Sie sagen ferner wahrheitsgemäss, dass ich einige Gedichte
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mit österreichischer Thematik geschrieben habe. Dazu möchte
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ich drei Feststellungen machen :
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1. Ich habe in Österreich niemals auch nur einen Penny
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für meine Gedichte erhalten. Ein paar v on ihnen wurden
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ins Deutsche übersetzt, aber in diesem Fall bekamen die
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Übers etzer das Geld, nicht ich.
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2. Ich glaube, Sie sind sich nicht im K laren darüber, wie
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Gedichte entstehen. Was gewöhnlich für das Thema gehalten
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wird, ist nur ein Blickwinkel, ein Anlass, um gewissen
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Gedanken über die Natur, über Gott, die Geschichte, die
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Menschheit usw. Ausdruck zu verleihen, die der Dichter
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schon sehr lange im Kopf gehabt haben mag. Ich habe
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zum Beispiel ein Gedicht zum 20. Todestag von Josef
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Weinheber geschrieben. Aber das Gedicht handelt im
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Grunde von anderen Dingen : erstens von der Liebe, die
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jeder gute Dichter, von welcher Nationalität er auch sei,
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zu seiner Muttersprache hegt , und zweitens davon, was
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nach dem Krieg in den Ländern geschehen ist, die ihn
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verloren hatten, das heisst, nicht nur Österreich, sondern
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auch Deutschland und Italien.
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1964 wiederum habe ich ein Gedicht mit dem Titel
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'Pfingstsonntag in Kirchstetten' geschrieben, weil ich
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mich zuf ällig dort aufhielt. Aber der Ort ist unwichtig.
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In Wahrheit geht es in diesem Gedicht um die Frage :
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Worin besteht für einen Christen die Bedeutung des Pente-
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cost-Festes'. Und dies gilt für alle Länder auf gle iche Art.
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3. Ich glaube, Sie sind sich nicht i m Klaren über die
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finanzielle Situation eines Dichters. Ein Romanschrift-
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steller kann, wenn er erfolgreich ist, mit seinen Büchern
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eine Menge Geld verdienen. Ein Lyriker kann das nicht,
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selbst wenn er sehr bekannt ist, denn Gedichte werden
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nur von einer Minderzahl gelesen. So stammt der weitaus
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grösste Tei l meines Einkommens nicht aus dem Verkauf
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meiner Gedichtbände, sondern aus Buchrezensionen,
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Übersetzungen, Vorträgen, usw., Tätigk eiten, die mit
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Österreich nichts zu tun haben. Und wenn schon vom
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Übersetzen die Rede ist : Sie sagen wahrheitsgemäss,
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dass ich ein grosses Interesse an deutscher und öster-
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reichischer Literatur habe - ich darf hinzufü gen, auch
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an der Musik - , aber ich muss nicht nach Österreich
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kommen, um sie zu lesen oder zu höron.
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Sie sehen aus all dem, dass die von Ihnen angeführten Gründe,
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aus denen Sie mich besteuern wollen, nicht stichhaltig sind. Am
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meisten aber spricht dagegen, dass ich im Laufe eines Jahres immer
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weniger als sechs Monate in Österreich verbringe und mich niemals
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auch nur drei Monate lang laufend hier aufhalte.
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Ein Wort zum Schluss. Wenn dieser für mein Gefühl völlig un-
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gerechtfertigte Unsinn nicht aufhört, werde ich Österreich verlas-
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sen, um nie wiederzukehren, was für mich und vielleicht auch für
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die Ladenbesitzer von Kirchstetten sehr traurig wäre. Eines aber
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kann ich Ihnen nicht verhehlen, meine Herren : sollte dies ein-
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treten, dann könnte es einen weltweiten Skandal nach sich ziehen.
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W.H.Auden
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Sie fragen, weshalb ich meine Hälfte unseres Besitzes
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in Kirchstetten an Mr Chester Kallmann überschrieben habe,
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der ja nicht mit mir verwandt ist. Mr Kallmann ist mein
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Erbe. Ich habe keine Kinder und er ist seit Jahren mein
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literarischer Mitarbeiter. Wir haben gemeinsam fünf
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neue Opernlibretti verfasst, 'The Rake's Progress', 'Elegy
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for Young Lovers', 'The Bassarids' und 'Love's Labours L ost'.
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('Weg eines Wüstlings', 'Elegie für junge Liebende', 'Die
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Bassariden' und 'Verlorene Liebesm) . Und wir haben ge- üh'
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meinsam 'Die Zauberflöte', 'Don Giovanni', 'Die sieben Tod-
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sünden','Mahagonny' und 'Archifanfaro' neu ins Englische
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übersetzt. Ich bin[] jetzt fünfundsechzig Jahre alt und muss
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mit jeder Möglichkeit rechnen, etwa mit einem Herzanfall.
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Wie Sie selbst besser wissen als ich, e rgeben sich im Falle
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eines plötzlichen Ablebens grosse Schwierigkeiten für den
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Erben von Grundbesitz, besonders in einem fremden Lande.