Copy Typescript Hilde Spiel Translation W. H. Auden Statement to Austrian Tax Authorities 1972-07-26--1972-08-25

                Erklärung

Meine Herren !
      Mein Standpunkt ist sehr einfach : Man bezahlt dort
Einkommensteuer, wo man Geld verdient, das heisst in meinem
Fall, als Schriftsteller, der englisch schreibt, in den Ver-
einigten Staaten und in England. In Österreich verdiene ich
keinen Groschen, ich gebe lediglich Schillinge aus.
      Sie behaupten, dass ich ein 'materielles Interesse' an
Österreich habe, womit Sie vermutlich ein 'finanzielles' In-
teresse meinen. Das könnte nur dann möglicherweise richtig sein,
wenn ich mir sagen müsste :'Ich muss nach Österreich gehen,
weil ich nur in Österreich arbeiten kann!. Das ist aber nicht
der Fall. Ich habe an vielen Orten und in den verschiedensten
Ländern gelebt, und war imstande, zu arbeiten, wo immer ich
auch war.
      Ich habe natürlichein 'persönliches' Interesse an Öster-
reich, sonst käme ich nicht hierher. Mir gefällt die Landschaft
und ich finde die Österreicher, die ich kennen lerne, freundlich
und charmant.
       Sie sagen wahrheitsgemäss, dass ich einmal einen öster-
reichischen Literaturpreis erhalten habe. Das war eine grosse
Ehre, auf die ich sehr stolz bin. Aber Sie können doch nicht
ernstlich glauben, meine Herren, dass ich mir ausgerechnet habe:
'Wenn ich weiter nach Österreich gehe, wird mir vielleicht ein
Preis verliehen werden'? Bevor er mir zuerkannt wurde, hatte
ich noch nie von diesem Preis gehört. Es ist auch klar, dass ich
ihn kein zweites Mal erhalten kann. Dann sagen Sie auch, dass
man in Kirchstetten eine Strasse nach mir Audenstrasse genannt
hat. Das war eine sehr liebenswürdige Geste von Seiten der

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Gemeinde, aber man kann nicht behaupten, dass ich finanziellen
Nutzen daraus ziehe.
     Sie sagen ferner wahrheitsgemäss, dass ich einige Gedichte
mit österreichischer Thematik geschrieben habe. Dazu möchte
ich drei Feststellungen machen :
     1. Ich habe in Österreich niemals auch nur einen Penny
        für meine Gedichte erhalten. Ein paar von ihnen wurden
        ins Deutsche übersetzt, aber in diesem Fall bekamen die
        Übersetzer das Geld, nicht ich.
     2. Ich glaube, Sie sind sich nicht im Klaren darüber, wie
        Gedichte entstehen. Was gewöhnlich für das Thema gehalten
        wird, ist nur ein Blickwinkel, ein Anlass, um gewissen
        Gedanken über die Natur, über Gott, die Geschichte, die
        Menschheit usw. Ausdruck zu verleihen, die der Dichter
        schon sehr lange im Kopf  gehabt haben mag. Ich habe
        zum Beispiel ein Gedicht zum 20. Todestag von Josef
        Weinheber geschrieben. Aber das Gedicht handelt im
        Grunde von anderen Dingen : erstens von der Liebe, die
        jeder gute Dichter, von welcher Nationalität er auch sei,
        zu seiner Muttersprache hegt , und zweitens davon, was
        nach dem Krieg in den Ländern geschehen ist, die ihn
        verloren hatten, das heisst, nicht nur Österreich, sondern
        auch Deutschland und Italien.
        1964 wiederum habe ich ein Gedicht mit dem Titel
        'Pfingstsonntag in Kirchstetten' geschrieben, weil ich
        mich zufällig dort aufhielt. Aber der Ort ist unwichtig.
        In Wahrheit geht es in diesem Gedicht um die Frage :
        Worin besteht für einen Christen die Bedeutung des Pente-
        cost-Festes'. Und dies gilt für alle Länder auf gleiche Art.

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        3. Ich glaube, Sie sind sich nicht im Klaren über die
           finanzielle Situation eines Dichters. Ein Romanschrift-
           steller kann, wenn er erfolgreich ist, mit seinen Büchern
           eine Menge Geld verdienen. Ein Lyriker kann das nicht,
           selbst wenn er sehr bekannt ist, denn Gedichte werden
           nur von einer Minderzahl gelesen. So stammt der weitaus
           grösste Teil meines Einkommens nicht aus dem Verkauf
           meiner Gedichtbände, sondern aus Buchrezensionen,
           Übersetzungen, Vorträgen, usw., Tätigkeiten, die mit
           Österreich nichts zu tun haben. Und wenn schon vom
           Übersetzen die Rede ist : Sie sagen wahrheitsgemäss,
           dass ich ein grosses Interesse an deutscher und öster-
           reichischer Literatur habe - ich darf hinzufügen, auch
           an der Musik - , aber ich muss nicht nach Österreich
           kommen, um sie zu lesen oder zu höron.
    Sie sehen aus all dem, dass die von Ihnen angeführten Gründe,
aus denen Sie mich besteuern wollen, nicht stichhaltig sind. Am
meisten aber spricht dagegen, dass ich im Laufe eines Jahres immer
weniger als sechs Monate in Österreich verbringe und mich niemals
auch nur drei Monate lang laufend hier aufhalte.
    Ein Wort zum Schluss. Wenn dieser für mein Gefühl völlig un-
gerechtfertigte Unsinn nicht aufhört, werde ich Österreich verlas-
sen, um nie wiederzukehren, was für mich und vielleicht auch für
die Ladenbesitzer von Kirchstetten sehr traurig wäre. Eines aber
kann ich Ihnen nicht verhehlen, meine Herren : sollte dies ein-
treten, dann könnte es einen weltweiten Skandal nach sich ziehen.

                                           W.H.Auden

     Sie fragen, weshalb ich meine Hälfte unseres Besitzes
in Kirchstetten an Mr Chester Kallmann überschrieben habe,
der ja nicht mit mir verwandt ist. Mr Kallmann ist mein
Erbe. Ich habe keine Kinder und er ist seit Jahren mein
literarischer Mitarbeiter. Wir haben gemeinsam fünf
neue Opernlibretti verfasst, 'The Rake's Progress', 'Elegy
for Young Lovers', 'The Bassarids' und 'Love's Labours Lost'.
('Weg eines Wüstlings', 'Elegie für junge Liebende', 'Die
Bassariden' und 'Verlorene Liebesmüh') . Und wir haben ge-
meinsam 'Die Zauberflöte', 'Don Giovanni', 'Die sieben Tod-
sünden','Mahagonny' und 'Archifanfaro' neu ins Englische
übersetzt. Ich bin[] jetzt fünfundsechzig Jahre alt und muss
mit jeder Möglichkeit rechnen, etwa mit einem Herzanfall.
Wie Sie selbst besser wissen als ich, ergeben sich im Falle
eines plötzlichen Ablebens grosse Schwierigkeiten für den
Erben von Grundbesitz, besonders in einem fremden Lande.